Die letzten Tage der Kampagne gehen an den Start und es bleibt spannend. Ob wir das schaffen. Oder eben nicht. Wenn nicht, purzeln wir zurück auf die Schwelle von 8000,-€. Das wäre natürlich suboptimal, zu deutsch Scheiße. Ich glaube aber, es wird klappen. Irgendetwas sagt das mir. Diese Kampagne bei startnext hat mich verändert, hat mir Milde und Frohsinn beschert. Ich hatte nicht geahnt, wie viel Unterstützung und Breite wir entfachen können, wenn wir uns bemühen, lange und anhaltend in die vernetzte Runde zu rufen.
Als wir bei startnext einstiegen, war Dirk Zöllner und sein Werner Karma-Projekt im Ranking immer vor uns und das hat mich auch nie gewundert. Sie haben eine breite Fanbase, nur lustig fand ich, dass der Osten im Musik-Highscore generell immer vorne lag. Werner, Dirk und wir. Wir hatten Power und wie es aussah auch Zug zum Tor. Nach zwei Wochen kamen alte, fast schon begrabene Sympathien in mir hoch und ich drückte die Daumen für die Kollegen mit.
Was heißt eigentlich Kollegen? Das muss ich mal klarstellen. Ja da wird`s halbwegs kompliziert, aber nicht uninterressant. Urschleim. Oktoberrevolution. Man kommt auf die Welt (1968) und schaut sie sich noch nicht gleich mit eigenen Augen und Ohren an. Die gute alte Zone war ja erstmal völlig in Ordnung. Selbst der Gorilla in Kamerun weiß ja nicht, dass er in einem Käfig im Westberliner Zoo eine ruhigere Kugel schieben könnte, als im Stress eines afrikanischen Dschungels. Die Metapher hinkt, ich weiß, aber sie gefällt mir. (Arbeitsregel 1: es ist dem Poeten nicht erlaubt, eine in der Luft befindliche Pointe an der Landung zu hindern). Ich wuchs also auf mit Karat, Rockhaus und Silly. Erstmal. Und ich erkannte in den Texten von Werner Karma, der für Silly die Texte schrieb, eine besondere Sprache und Kraft. Er war ganz klar der beste Texter (so hieß das im Osten). Er hatte Seele. Die sprach zu mir. Ich war vierzehn und gründete mit Chris unseren eigenen Laden. SANDOW. Im Ostradio gab es dann eine neue Band: Chickoree. Das war deutscher Funk, Dirk Zöllners erste Band und ich mochte das, es hatte Pep, auch die Texte hatten Tiefgang. Manchmal gingen wir zu den Konzerten der etablierten Bands. Wir studierten, wie sie es brachten und träumten uns selbst auf große Bühnen. Dann fuhren wir an die Ostsee zum campen. Wir waren Popper und hatten ordentlich was los. Nachts am Lagerfeuer hielten wir die Gitarren in den Wind und den Mädels gefiel das und uns gefiel, dass es den Mädels gefiel. Wir waren sechszehn und hatten schon unfassbare vierzig eigene Songs auf Tasche. Ich will es nicht verheimlichen, die waren noch auf Kindergartenniveau. Aber wir waren dran. Wir würden die Schallmauer schon durchbrechen. Es waren gute Tage. Doch nach drei Wochen auf einem Zonenzeltplatz sieht selbst der smarteste Popper wie eine Drecksau aus. Als wir zurück fuhren, wurden wir in Stralsund unsanft von der TraPo, die Bullen auf den Bahnhöfen, rausgezogen. Feststellung der Identitäten, peinliche Befragung. Gefoltert wurde nicht, aber der Ton war rau. Ich verstand das alles nicht. Waren wir Kriminelle? Was war hier los? Es war so ein unscheinbarer Tag, an dem man unbemerkt ein Gleis wechselte, auf einer unsichtbaren Weiche plötzlich zu einem anderen Leben abbog. Später wurde mir klar, dass wir wie räudige Punks aussahen und deshalb in die routinemäßige Rasterfahndung gerieten. Punks. Das waren diese geheimnisvollen Aussätzigen. In Cottbus gab es vielleicht zehn, fünfzehn Punks. Sie hörten auf so interessante Namen wie Siggi Suppe, Abfall, Titte und Mörder-Mario. Und Harriet gab es, eine außerordentliche Schönheit, immer barfuß und ein schwarzer Irokese schmückte ihr Haupt. Diese Gang sah man manchmal durchs Stadtbild wanken. Trunken und irgendwie sorglos. Abartig, aber bemerkenswert. Ein Jahr später waren wir wieder campen und diesmal landeten wir neben einem Punkerpärchen aus Zittau. Man muss wissen, dass die Punks in der Zone eher die Schlauesten, als die Faulsten waren. Da ging es immer ums Eingemachte. (Arbeitsregel 2: Bilde dich weiter!) Ich hatte inzwischen den halben Brecht gelesen und war durstig nach neuen Welten. Ich schaute anders hin, auf die Früchte der Revolution, die Spießer, den ganzen Zonenkreisverkehr. Die beiden Punks lebten vom Schmuck herstellen. Irgendwie war das halb geduldet. Man konnte im Osten bei billigen Mieten (meine erste Bude später kostete 23 Mark) sich erstaunliche Nischen erkämpfen. Ihre Geister waren frei und ihre Ideen waren anziehend. Aus dem Anett-Rekorder schallte Sham69 und einiges mehr. Wir waren inzwischen New Waver, doch unsere Spielkünste waren derartig beschränkt, das Equip so desolat, dass unser Sound immer ungewollt nach Punk klang. Langsam rutschten wir hinüber. In die schwarze Szene. Die Szene der Punks, der Gammler (ich liebe dieses Wort und Arbeitsregel 3 sagt: Liebe die Wörter!) Also hinein in die Szene der Freejazzverrückten, der Maler, der Ausreiseantragsteller, der Durchgeknallten. Dort pulsierte unbändiges Leben. Da konnte niemand mithalten. Die bedauerliche FDJ-Realität sowieso nicht, aber auch nicht die Bluesszene, die Metall-Heinze und auch nicht die Staatsmugger. Das waren sie inzwischen für uns. Mugger mit Handgelenktasche. Die örtlichen Profis, die Karats und die Sillys. Abgrenzung setzte ein. Die Kraft des Ghettos läuft ja immer über Abgrenzung. Silly heißt zu deutsch ja schon „albern“ und erst der ganze biedere Rest von Reform bis Berluc. Es verbot sich von selbst, sowas auch nur ansatzweise zu goutieren. Die gehörten zur anderen Seite. Abschaum. Maulhuren mit Reisepass. Armseelige Wichtel mit Haus am Müggelsee. Sorry Werner, so lief das damals. Mit uns. Und es fühlte sich gut an, zu einer neuen Bewegung zu gehören, bei der wir uns nur noch an die künstlerische Spitze setzen mussten. Hatten wir gedacht. (Arbeitsregel 4: Größenwahn gibt es umsonst. Täusche Bescheidenheit vor, räume auch mal Dinge ein!) Allright, ich hatte also immer noch mir jedes Silly-Album angehört und wusste, dass Werner nach wie vor eine gute Zeile schrieb. Aber in meinem äußeren Kosmos wäre der Vorgang, sich mit einem Silly-Album zu beschäftigen eine imageschädigende Bankrotterklärung. Darüber sprach man nicht. Meine Szene hörte Sister of Mercey, Joy Division, Tödliche Doris und The Birthday Party. Die schwarze Szene hatte auch gewisse verbindliche Etikette und wir waren jung, das Rückgrat noch nicht sehr ausgebildet.
Dann kommt auch schon der nächste Sommer und wir fahren wieder campen nach Rügen. Diesmal aber ist ein DEFA-Team dabei. Wir hatten es mit unser typischen Unnachgiebigkeit den Winter zuvor in einem Zug nach Suhl aufgerissen. Beim Umsteigen in Leipzig hatten Chris und ich auf dem Bahnsteig zwei sehr heiße Bräute aufgetan. Sie stiegen in den Zug und wir dackelten hinterher. Sie verschwanden in einem Abteil. Wir drängelten uns dazu. Und dort saßen Dieter Schumann und Jürgen Wisotzki. Die Macher von „Flüstern & Schreien“. Auf Recherche für ihren DEFA-Rockreport. Wir konzentrierten uns nun auf Dieter und Jochen. Akquise! (Das A und O im Buisness und damit Regel Nummer 5). Sie hatten ihr Portfolio eigentlich schon vollständig. Dachten sie. Denn wir erzählten vom campen und mit dem Fahrrad an die Ostsee fahren und Inhalten und Fragen und Gekreisch am Lagerfeuer und existenzielles Geschwurbel und heiße Nacht und kalter Morgen. Na klar, das war filmisch! Das war kein öder Rockscheiß mit Proberaum und Pressefest. Wir erschienen als wunderbare Protagonisten mit filmischer Landschaft und bekamen einen Mainslot im Film. Junge Punkpoeten mit schwerem Hang zum SaufiSaufi, DenkiDenki und FickiFicki. Wunderbar. Die jungen Ebenbilder von Schumann und Wisotzki. Die Dreharbeiten gingen auch in die Richtung. Der Schnitt setzte uns dann ins richtige Licht. Und Vorhang auf, wer war denn noch im Film gelandet? Man wird es kaum glauben: Silly und Chickoree. Werner, Dirk und wir. In einem Film. Logisch. Ja wer zum dramaturgischen Teufel denn sonst? Naja, Feeling B war auch noch dabei, die können wir hier aber vernachlässigen. Auch weil sie sich im Nachgang für die Wichtigsten hielten. Lächerlich. Geschenkt. 1,2 Millionen Zuschauer. Sicher, da will jeder der entscheidende Part gewesen sein. Aber wir wissen ja, wie wichtig SANDOW für den Film war. Unersetzlich! Und wie der ganze Wahnsinn weiterging (und er geht immer weiter, Regel Nummer 6) erzähle ich im nächsten Blog. And by the way: Macht mal endlich diese verdammte Kasse bei startnext voll! Himmel! Käptn kuk