Okay, wo waren wir stehen geblieben. 1987. Bei „Flüstern & Schreien”. Werner Karma, Dirk Zöllner, irgendwer noch und wir waren in einem Film gelandet. Das war eine gute Sache, besonders für uns unbekannte Pappnasen, besonders wenn das Werk so derartig reüssierte. Silly blieben den Folgeveranstaltungen gleich ganz fern. Sie kamen einfach schlecht weg. Der Kontrast neben den grölenden Nomaden von Feeling B und den Schlaumeiern auf Fahrrad von SANDOW desavouierte ihre toupierte Stadionrock-Sexyness. Der Wind im Land drehte sich und uns konnte es nur recht sein. Wir hatten eine Art Dachbalken unterm Arsch und begannen dennoch auf einer Welle zu surfen. Wir waren offenbar authentisch. Als Band oder Banda (wie ich in einem früherem Blog schrieb) ist man ja gnadenlos egoman. Es gibt nur wenig Empathie, Gelassenheit oder gar Gemeinschaftssinn. Überall lauert nur gespenstische Konkurrenz. Auch sogenannte Szenen wie die der „anderen Bands“ waren die reinsten Minenfelder. Alles behackte sich, intern. Für die Außenwahrnehmung war man irgendeine Musik-APO, kam man aber nach Neuruppin mit Freygang, den Skeptikern und der Firma, zerfleischte man sich mit Greiner-Pol oder Falco Richter um Startplätze und PA-Zuständigkeiten. Der Unbill und die Infights. Die Dreifachzüngigkeit der schwarzen Individualisten, ob sie Spalda, Joswig oder Rompe hießen. Alle kochten ihr Süppchen. Man konnte eine Menge lernen in den Tagen. Einen Vorgeschmack auf bald kommende Zeiten finden. Anyway, wir kamen aus der Provinz und hatten Charme. Wir stammten von der Baustelle und waren unter Sorben aufgewachsen. In Suhl, nach der legendären Aquise-Fahrt mit Schumann und Wisotzki, lernten wir Wolf-Dietrich Fruck kennen. Er war Großmeister und Gralshüter der AMIGA-Plattenproduktionen. Wir eröffneten ihm, dass wir eine neue Musikrichtung erfunden hätten und das eine Platte fällig wäre. Wolf-Dietrich grinste uns an. Die Liste der Bands, die es auf den ersten Sampler „die anderen Bands“ schaffen wollten, war lang, doch der gemeine Prenzlauer Berger war nassforsch, arrogant und oft zu fordernd. Wolf-Dietrich hatte schon Schlagseite und wir plauderten die Geschichte nach Hause. Er sah uns wahrscheinlich als das geringere Übel. Mein Gott, die kamen aus Cottbus! Die Jungs waren doch nett, die wollten nix böses, die hatten Inhalte, na klar, aber im Grunde war das wirre Lyrik, kein nerviger Untergrund. Und die waren doch in diesem Film!
Die Bands aus demselben sahen sich so gut wie nie. Einmal wurde der Film in Gera aufgeführt und wir spielten danach mit Dirk Zöllners Band. Wir hatten uns nichts zu sagen. Was auch. Wir ackerten alle an unseren Fronten rum. Nahmen mit, was ging. Bald ging für einige gar nichts mehr. Viele reisten aus. Herbst in Peking wurde verboten. Die Zone begann aus den Latschen zu kippen. September neunundachtzig. Görlitz. Ein Konzert mit Pankow. Andre Herzberg überreichte uns eine Resolution der etablierten Staatskünstler. Zum unterschreiben. Damit es im vergreisten Politbüro noch irgendein Einsehen hatte. Ein lamoyantes Pamphlet, dem man sich schwer entziehen konnte. Wir hatten uns gerade die Profipappe ergaunert und in der Backstage wimmelte es von Stasi. Wir sagten nein. Wir hatten Schiss, dass es wie bei Biermann lief. Die Kleinen hängen sie. Wir wollten autark und nicht Masse sein. Keine fremde Karren, egal mit welchem Kutscher, auch wenn es feige aussah. Und das war es wahrscheinlich auch. Aber es ist wie in Bukowskis Gedicht „Bettler versauen dir den Tag“. Gibst du nichts, fühlst du dich Scheiße, gibst du was, erst recht. Zu gewinnen gab es da nichts, nur zu verlieren. Nun wir wissen, worauf es hinaus lief. Die Zone implodierte und später sollte sich herausstellen, dass ein Viertel auf der Liste der Resolution bei der Stasi war. Wenn ich heute die Regime-Changes, die bunten Revolutionen, die vielen Frühlinge mir anschaue, frage ich mich, was seinerzeit in der DDR wirklich ablief. Damals hakten wir nicht groß nach, wir räumten den Senatsrockwettbewerb ab, spielten fröhlich in Frankreich, Holland, Russland. Und fuhren dennoch die Kiste gegen einen Baum. Und wer es weiß, der wird wissen, welchen ich meine.
Die Leidenschaft, der Irrsinn, der Größenwahn schnitt uns auch das kommerzielle Glück und wir wurden langsam echte Künstler. Die bereit waren für die eine Idee, zu hungern. Die alten Staatsrocker hatten zwei, drei Jahre Flaute zu verdrücken, dann machte dem Ostler die Melancholie zu schaffen und die Sillys und Karats waren wieder im Geschäft. Dem alten Reisekader Aljoscha, er hatte einen Schweizer Pass, war der Westen nicht mehr neu genug gewesen, er verpasste, was der Rest von Feeling B in die Zukunft hämmerte, Rammstein. Dirk Zöllner hingegen ging auf die harte lange Tour. Wenn der Osten nicht will, gehen wir eben in den Westen. Sich den Arsch abspielen. Ich hab das damals nicht gesehen, erst viel später. Es hätte mich auch nicht die Bohne interessiert. Für manchen Blick braucht man 30 Jahre. Musiker zu sein, ist überhaupt schon ein bedauerliches Schicksal. Du wohnst der Geburt von ganzen Sinfonien bei, bringst den Menschen Wahres und Gutes und musst doch immer wieder auf die Ochsentour, dich zum Gott Erbarmen abstrampeln. Aber du kannst es dir ohnehin nicht aussuchen, es hatte sich dich ausgesucht.
Wechselhafte Jahre zogen ins Land. Rammstein hatte die Welt fest im Griff. Wir waren zwischenzeitlich aufgelöst. Dann war ein Jubiläum am Start. Zwanzig Jahre „Flüstern und Schreien“. Da war er wieder, der gute alte Film. In der NATO in Leipzig und anschließend ein Podiumsgespräch mit Rauhut, Wisotzki, Flake, Zöllner und icke. Flake kam erst gar nicht. Ein Stuhl wurde frei. Der Saal war brechend voll und wir entschieden uns am Tresen zu warten. Ich saß neben Dirk und wir hatten erstmal noch keinen Text. Wir bestellten Scotch. Ich war gerade vom Nanga Parbat gekommen und wir hatten einen Bergsteiger verloren, Günter Jung. Ich war in zweifelhafter Verfassung und eröffnete Dirk, dass wohl ein Fluch über dem Film läge. „Ein Fluch?“ – „Tamara hats erwischt. Aljoscha hats auch erwischt. Wie es aussieht, sind wir die beiden letzten Sänger.“ Dirk nahm sich sein Glas zur Brust. „Kai, hör auf mit sowas. Ich glaube an so einen Scheiß.“ – „Ja geht mir auch so.“ Wir ließen die Gläser auffüllen und hatten einen ordentlichen Schluck nötig. Ich nahm den Faden wieder auf. „Ich finde, man darf die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen.“ – „Meinst du.“ – „Das ist wie der Elefant im Zimmer, den keiner sehen will. Da hängt ein Fluch über dem Film.“ – „Kai, hör mir auf damit. Wer sowas denkt, dem passiert auch was.“ – „Wenn Du mich fragst, ist einer von uns der nächste.“ – „Ja darauf wird es wohl hinaus laufen.“ Wir lachten und ließen die Gläser vollmachen. Ich nippte, Dirk kippte. „Ich komme gerade vom Nanga Parbat, der Günter ist oben geblieben. Uns hat beinahe ein Erdbeben verschluckt. Könnte sein, dass ich so eine Art Karma-Vorsprung habe.“ – „ Schon möglich, aber red nicht mehr davon.“ – „Ich meine, es ist ja offensichtlich. Erst Tamara, dann Aljoscha. Das ist ein Scheiß-Fluch. Der über dem Film hängt.“ Dirk lachte. „Du kannst mich mal, mit Deinem Scheiß-Fluch.“ Er kippte sich den Scotch hinter die Binde. Ich bekam Gefallen an dem Sound des Dialoges, dem Swing des Westerns. Der Abend schien interessant zu werden. „Das kann man sich an vier Fingern abzählen. Wir sind die letzten beiden Sänger. Da beißt die Maus keinen Faden ab.“ Dirk orderte, wir tranken. Er schien Durst zu haben. Ich ging mit. Doch halbes Tempo. „Am Ende weiß man nie, ob da irgendein Sinn dahinter war.“ Wir starrten die Kellnerin an. Die traurigen Plakate an der Wand. Das ergab definitiv alles keinen Sinn. Das Glas war leer, das Glas war wieder voll, dann war es wieder leer. Was zum Teufel hatte es damit auf sich. Wir warteten und tranken noch einen. „Was ist das nur für ein Scheiß-Film, wo so ein Scheiß-Fluch drüber liegt.“ – „Einer von uns wird der nächste sein.“ – „Ich war am Nanga Parbat. Ich mach das nicht nochmal mit.“ Eine Brünette schob sich an Dirk ran, brachte ihren Smalltalk vor und alles was sie sonst noch so hatte. Der Meister war in sich gesunken. Black Dust. Ihre Aktien standen schlecht. Dunkle Wolken. Dunkler Soul. Sie trabte ab. Er nahm einen kräftigen Hieb aus dem Glas, wie jemand, der sich einen verdient hatte. Inzwischen stand die Liter-Flasche schon bei uns auf dem Tresen. „Wenn du mich fragst, wir wissen einfach zu wenig, von diesen Dingen.“ – „Genau, was wissen wir schon. Einen Furz wissen wir.“ – „Der Günter ist einfach oben geblieben. Wollte noch ne Pizza bestellen. Auf 8000 Meter Höhe.“ Die Minuten rannen, wir machten die Flasche nieder. Dirk mehr, ich weniger. Es tat sich nicht allzu viel, dann flog die Tür auf und Micha Rauhut holte uns aufs Podium. Dirk schlingerte zu seinem Stuhl und es sah nicht nach Karma-Vorsprung aus. Suff und Bühne, das alte Traumpaar würde gleich einen Walzer drehen. Im Saal hockten 200 Schwarzkittel, eher meine Fraktion, als Soulfans. Rauhut brachte den Dialog an den Start und ich erwischte eine gute erste Halbzeit mit Jochen Wisotzki. Wir erzählten vom Pferd und vom Film, schoben uns die Bälle zu. Ich war genau auf Betriebstemperatur. Die Dosis stimmte. Ich brachte den Fluch aufs Tapet. Die Leute hatten was zu lachen. Rauhut erinnerte sich an Dirk und moderierte in seine Richtung. „Wie hast du dich selbst politisch verortet damals?“ Dirks Zunge ging schwer. „Überhaupt nicht. Ich wollte eigentlich immer nur geliebt werden.“ Die Schwarzkittel grunzten missmutig. Dirk peilte die Lage. Irgendwie schienen die Vibes des Abends gegen ihn zu laufen. Das Problem beim Suff und Bühne – Spiel ist, man baut immer ab. Rauhut setzte nach „Aber du musst doch irgendeine politische Einstellung gehabt haben?“ – „Mensch Micha, das ist alles so lange her. Wenn ich ehrlich bin, wollte ich einfach nur geliebt werden.“ Irgendwie klang es jetzt schon nach Mielkes berühmten Worten. Die Meute begann ihn langsam zu hassen. Er tat mir leid, denn ich hatte ihn da schließlich reingeritten. Suff und Bühne, altes Monster, lass uns heute noch mal ziehen. Die alten Gebete. Wir surften weg vom Thema. Jochen und ich gerieten wieder in Fahrt. Die Bälle kamen, die zweite Halbzeit hatte auch noch einiges zu bieten. Dirk lehnte an meiner Schulter. Erst dämmerte er, dann war er eingeschlafen. Keep your head on my shoulder. Jessas, wie oft hatte es mich schon so erwischt. Die ewigen Peinlichkeiten. Ich hatte einige Echos auf dem Gewissen, war mitten in einem Gitarrensolo eingenickt, in verschiedene Schlagzeuge gefallen oder musste anderweitig evakuiert werden. Rauhut hatte genug gehört und nur noch eine letzte Frage. „Kai, wie war das dann 1994 mit dem zweiten Teil von Flüstern und Schreien“. Ich linste zu Dirk. Er schlief fest. „Nun wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir Schumann ein Ultimatum gestellt. Entweder sind Silly und Die Zöllner draußen, oder wir sind nicht mehr dabei.“ Dirks Augen fuhren in slow motion hoch. Er sah mich ungläubig an und die Szene kippte ins private. „Kai, das hast du mir nie erzählt.“ Ich bereute meine alberne Indiskretion, der kleine, eitle Triumph. Es war so ein Moment, der einen verändert, da die Scham einen zur Milde führt. „Ja so war das damals. Wir waren finster drauf. Immer extrem. Das würde ich heute entspannter angehen.“ – „ Das hätte ich nie geglaubt von dir.“ Wir kannten uns eigentlich gar nicht, aber etwas schien uns zu verbinden. Der Fluch, der Film, der ganze Affenzirkus. Ich stammelte noch ein paar Unverbindlichkeiten, der Abend fand keine Pointe mehr.
Und immer wächst Gras über solche Sachen. Macht ja auch Sinn. Nur die wenigsten halten durch und bleiben am Drücker. Ich ging mit Mangan25 und Mark Chaet in die Namib-Wüste und wir verloren beinahe unseren Kameramann Tom Franke im Nausgomab-Canyon. Als wir zurückkehrten, hatte Mark ein Konzert in Karlshorst beim Russenfest. Wir gingen hin. „Zöllner-Classic“ in einer Kammerbesetzung. Ich stand vor der Bühne und Dirk schaffte sich rein. Es war nicht unbedingt my cup of tea, aber er hatte ganz klar eine eigene Ansprache. Nach dem dritten Song hatte ich ein Dejavu. Vor ein paar Jahren ging mir Xavier Naidoo maximal auf den Zeiger. Man konnte kein Radio mehr anschalten, ohne dass Xavier einen zusalbte. Etwas in mir hasste den Schnulzenbruder aus Mannheim. Aber da war noch etwas. Wo Hass ist, gibt es immer eine zweite Seite der Medaille. Die lag in seiner Stimme. You can`t fake the funk. Dort war etwas brauchbares, ja wunderbares. Die alte Salieri-Frage, wieso schenkte Gott ausgerechnet Mozart so ein Talent. Nach ein paar Jahren SANDOW-Pause und ein paar weiteren Mangan25-Expeditionen hatte sich im Karma-Haushalt einiges aufgestaut. Ich beschloss, es mal mit Liebe zu versuchen und siehe da, ich konnte es genießen. Nicht alles, aber lass es ein Viertel sein. Frieden finden, Frieden schaffen ohne Waffen. Karlshorst, Hauptquartier der Russen. Mark ließ die Geige klagen. Und Scheiße auch, Dirk, Du warst ja ein richtig begnadeter Sänger, genau wie dieser Xavier. Ich blieb locker, wahrscheinlich war ich schon altersschwul. Nach der Show saßen wir alle auf einer Bierbank und hatten einiges zu lachen. Als wir nachts zurückfuhren, trat uns ein Wildschwein vors Blech. Totalschaden. Manchmal braucht man das.
Die Erde drehte weiter ihre zweifelhaften Runden. Und ihr ahnt schon, was jetzt kommt. Letzten November gingen wir bei Startnext aufs Gleis und wen trafen wir dort? Dirk und sein Werner-Karma-Projekt. Und wenn sich Kreise schließen, ist meist eine elend lange Geschichte fast zu Ende. In unserer Unterstützer-Liste sah ich zwei Namen. Werner Karma und Dirk Zöllner. Ich war wirklich von Herzen gerührt. Ja irgendwie sprachlos. Was weiß man eigentlich über den anderen? Was weiß man von sich selbst? Wir würden es nie herausfinden. Nothing is older than yesterday. Und das war es auch schon.
käptn kuk
PS: Dirk und Werner gingen mit über 250% der Fundingsumme durchs Ziel. Lasst uns nicht allzu blass daneben aussehen. Oder man könnte auch sagen: Schwedter Initiative, weniger schaffen mehr.