Nun ist es an mir, die letzten Zeilen zu schreiben und die passenden Worte zu finden. Obwohl uns der überwältigende Nachhall und der Erfolg unserer Kampagne nahezu sprachlos zurück läßt. Aber Kai-Uwe steckt schon wieder in der nächsten Film- und Hörspielproduktion, Chris schiebt ein neues Kunstprojekt an und Tilman F. unterrichtet Berliner Kids in Deutsch und Musik.
Im Rückblick erscheint es mir nahezu unbegreiflich, wie wir den alten Dampfer Sandow über die letzten Jahre weiter unter Dampf hielten und unser Wille zum Durchhalten nun mit so einem unglaublichen Echo da draußen belohnt wurde. Wir dachten, wir wären ziemlich allein und fast vergessen zurückgeblieben, aber das Leben schreibt immer die besten Geschichten, um einmal dieses etwas abgegriffene Bonmot zu bemühen. Für mich wird es das persönlichstes Album sein, welches wir jemals produziert haben, auch wenn das schon wieder wie eine tausend Mal gehörte Musiker Plattitüde klingt. In meinem Fall möchte ich es dennoch einfordern, denn die Entstehung dieser Platte über die letzten acht Jahre (!) war nicht nur schwierig, weil wir über die ganze Republik verstreut sind und kaum die Zeit fanden, um die bierselige gemeinsame Klassenfahrt in ein Probelager im einsamen Mecklenburg-Vorpommern antreten zu können.
Leider legten uns auch Rezidive, Metastasen, Strahlen- und Chemotherapien immer wieder Steine in den Weg. Ich bin immer ziemlich genervt, wenn jeder halbwegs mit C-Prominenz versehene Fernsehfuzzi ein Buch darüber schreibt, wie er den Krebs besiegt hat. Natürlich verstehe ich nur zu gut den emotionalen Überschwang, so ein Monster überlebt zu haben. Aber ich bin eher für die leisen Töne und nicht jedes Thema ist es wert, in Talkshows OBERFLÄCHLICH breitgetreten zu werden. Man kann den Krebs auch nicht besiegen, man kann ihn nur umzingeln, in Schach halten und als eine ziemlich schräge Art von trockenem Alkoholiker weiterleben! Auch wenn das nun in meinem Fall mit der Kampagne öffentlich wurde, möchte ich ein mitleidvolles „der jetzt auch noch“ vermeiden. Aber die Hoffnung auf diese Platte hat mich wirklich in der Spur gehalten und wer sieht schon, dass ich auf den Kampagnen Bildern der entfernten Welten kein Haar mehr am Körper hatte.
Überhaupt war und ist diese Platte eine emotionale Reise durch Vergangenheit und Gegenwart. Man trifft alte Weggefährten, gewinnt neue Freunde und schaut mit der Weisheit und Milde des Alters freudig auf die Dinge, die jetzt kommen. Das Dauer-Grinsen im Gesicht will tatsächlich gar nicht mehr verschwinden, alles erscheint nur noch wie eine ewig andauernde Kür. Nicht schlecht für die alten Pappnasen von Sandow, die in ihrem Künstlerdasein meist nur die Abwärtsbewegung kannten, wie Kai-Uwe in unserem Sandow-Blog so treffend schrieb.
Mein ehemaliger Chef aus dem Potsdamer Lindenpark, Andreas Klisch, betreut unsere SocialMedia Kampagne und Sandow könnte immer noch vor Freude im Kreis hüpfen, weil wir offensichtlich den richtigen Mann zur richtigen Zeit wieder entdeckt haben. Zu oft war Sandow nur mit den Verrückten, Selbstdarstellern und Egomanen auf der betreuenden Seite geschlagen, ganze Schweden- oder Amerikatouren wurden versprochen und fanden nie statt. Abwärts eben.
Als ich Hartmut Leisegang von Keimzeit seinerzeit für mein kleines Projekt VargaNova gewinnen konnte, ahnte ich nicht, daß sein fast nebenbei geäußerter Satz, schaut Euch doch mal das Studio von Jürgen Block an, eine solche Dynamik auslösen würde. Jürgen ist auch so ein Mann zur richtigen Zeit, ein Mensch mit der nötigen Ruhe und Gelassenheit, der unser digitales und analoges Chaos in einer von mir nie gehörten knackigen Symbiose miteinander verheiratet hat. Und wer erwartet schon in der Brandenburger Pampa – in Lütte – so einen Crack, der sich ein Mischpult aus London in sein Haus einbauen läßt, über das schon Nirvana aufgenommen hat! Mich beschleicht fast Wehmut, jetzt nicht mehr in Lütte bei Jürgen im Studio abhängen zu können, im Keimzeit-Land, wo es der ehemalige Keimzeit-Schlagzeuger inzwischen sogar zum Bürgermeister von Bad Belzig gebracht hat. In anderen Ländern werden Schauspieler Präsidenten, bei uns werden Schlagzeuger Bürgermeister, was sagt uns das wohl?
Fast hätte ich „Studio-Hund“ Juri vergessen, der jeden Tag pünktlich um 15 Uhr seine Spazierrunde einforderte und sich darauf hin von zu viel Kaffee oder Junkfood blasse Gestalten an die frische Luft bequemen mußten. Abgesehen davon ist Juri ein wahrer Meisterdieb, wenn es gilt, Kuchen oder Brötchen vom Tisch zu klauen oder einfach die letzten Krümel vom Teller zu lecken!
Und ein kleines Puzzlesteinchen kann ich sogar zu „Werner, Dirk und wir“ beitragen. 1988/89 hatte ich Schlagzeugunterricht bei einem Studenten der Hochschule für Musik „Hans Eisler“ in Berlin, ich denke es war Roger Heinrich. Jedenfalls kam „Flüstern und Schreien“ ins Rollen und irgendwann stellte sich heraus, dass Roger auch der Schlagzeuger von „Die Zöllner“ ist. Der andere Schlagzeugschüler von Roger war übrigens Christoph Schneider, der Drummer der später nicht ganz unbekannten Band Rammstein. Anekdoten eben und ich hoffe, es klingt nicht zu sehr nach „Opa erzählt vom Krieg“.
Sandow hat oft mit seinen Platten und Konzerten Fans, Zuhörer oder die versammelte Musik-Journaille etwas rat- oder sprachlos zurück gelassen oder Zitat Kai: “Wer sich davon unterhalten lassen kann, muß eine verdammt starke Seele haben.“ Alles muß formatiert, sortiert oder irgendwie zugewiesen werden, aber in welche Schublade soll man nur Sandow stecken? Nach unserem Theater-Projekt „Känguru“ waren wir zu viel Rock für das Theater und auf der anderen Seite zu viel Theater für den Rock. Welche Schublade also aufziehen? Nach dem Album „Der 13. Ton“ (1992) war „endlich“ ein Etikett als Ostkopie der Einstürzenden Neubauten gefunden. Ich meine, das geht auf eine seinerzeitige Plattenkritik der Melodie & Rhythmus zurück, die Lutz Schramm mit Kai, warum willst Du wie Blixa sein (oder so ähnlich) eröffnete.
Ja, die Platte begann mit einem Monolog und in „Harmonie und Zerstörung“ wird ein sprachliches Bild verwendet, welches sich ähnlich bei den Neubauten findet. Das wir Monologe und die meisten Songs vom 13. Ton schon seit 1989 auf Konzerten spielten, ohne als Neubauten-Kopie durchzugehen, half uns danach auch nicht mehr. Überhaupt hatte ich bis dahin noch nie eine Neubauten-Platte gehört, was ich dann mit „Haus der Lüge“ nachholte, die Neubauten sangen deutsch, wir sangen inzwischen auch in Deutsch und sonst? Ich konnte nichts finden. Aber kommen wir zu dem abgegriffenen Bonmot zurück, wonach das Leben die besten Geschichten schreibt …. Lutz Schramm findet sich auch auf unserer Crowdfunding Unterstützer-Liste 🙂
Manchmal, so es meine Zeit zuläßt, tauche ich gern in das für heutige Ohren inzwischen etwas befremdlich klingende Deutsch eines Joseph Roth, Thomas Mann oder Franz Werfel ab – wenn ich eine Pause von den Adler Olsens oder Henning Mankells brauche. So fiel mir „Verdi – Roman einer Oper“ von Franz Werfel in die Hände (oder genauer gesagt als digitaler Download in meinen Ebook-Reader).
Ich wußte nicht, das Verdi vorgeworfen wurde, ein elendiger Kopist von Wagner zu sein („der Deutsche“), der endlich die Oper erneuert hätte, während Verdi billige Dreiklänge aneinander gereiht und schnulzige Arien in den Vordergrund gestellt habe. Verdi kämpft bereits mit einer 10-jährigen Schaffenskrise, in der er keine Oper mehr aufs Notenpapier bringen kann, seinen Entwurf für „König Lear“ verwirft er. Ständig verfolgt ihn der Geist Wagners, obwohl er bisher von Wagner wirklich nur einmal einen Klavierauszug vom Tristan („Tristan und Isolde“) überflogen hat und Wagners Werke überhaupt nicht kennt. Das klingt jetzt schräg, aber erst der Tod von Wagner erlöst ihn, danach entstehen noch Don Carlos, Otello und Falstaff. (Und bevor hier gleich wieder wilde Spekulationen in den Himmel schießen, nein, wir müssen von keinem Fluch, Dämonen oder Schaffenskrisen durch das Ableben anderer erlöst werden.) Trotzdem bin ich gespannt, welcher Geist in der Bewertung unseres neuen Albums aus der Flasche gelassen wird, einige Fragen nach der passenden Schublade tauchten auf Facebook schon auf, macht Ihr Elektropunk? Tja vielleicht, vielleicht nicht, vielleicht fällt in China auch gerade ein Sack Reis um …. vielleicht machen wir einfach nur Musik, die nicht wenige Menschen schätzen und gern hören, mehr brauche ich nicht zu meinem persönlichen Glück als Schlagzeuger von Sandow.
Es gäbe noch viel zu erzählen, zum Beispiel die Geschichte von Dr. Birger, Subway to Sally und Sandow oder unsere Konzerte bei einem Moskauer Mafia Paten, aber bleibt einfach am Ball – oder auf unserer Facebook- oder Website. Ich bin dann mal weg, ich muß üben – für die Tour! 🙂