Ich kenne Berber, unseren unverwüstlichen und doch hochsensiblen Schlagzeuger jetzt beinahe 30 Jahre. Er hat die letzten sieben Jahre einen Höllenritt hinter sich und ich bete dafür, dass er es wirklich hinter sich hat. Es macht den stärksten Papua-Indianer porös, wenn das Damokles-Schwert einer Krebsdiagnose über einem Kreise und Krise zieht.

Berbers Martyrium und dem angeschlossen drei Chemotherapien begleiteten die Arbeit am Album. Eine entsetzliche Melange aus nervöser Freude, es vielleicht überstanden zu haben und den dann auftretenden Rückschlägen. Niemand von uns weiß, was das wirklich bedeutet, das Surfen am frühen Tod. Wir wollen da sein für ihn und sind auch manchmal gar nicht da, verpassen OP-Termine, Anrufe, verschlampen Anteilnahme. Diese über die Jahre sich entwickelnde, beschissene Routine der Nachrichten des Leidens auf der einen, der schmerzlich vermissten Nähe der Kollegen auf der andere Seite, die mich bis heute mit Scham befüllt.

Und dann gibt es unsere Musik. Die Fluchtinsel, für die wir und allen voran Berber alles gibt. Im italienischen heißt Band ja „Banda“. Das entspricht meiner Vorstellung davon recht gut. Man plant einen Raubzug und schmeißt alles rein. Jeder kann etwas, was der andere nicht kann. Messer-Piet, Lasso-Django, Kartentrick-Billy und Slow-Hand-Frank. Der Western kann losgehen und wir ahnen, dass es nur gut geht, wenn alle ihre Tricks an den Mann bringen werden. Bei uns ist das ähnlich, es gibt viele verschiedene Talente, aber Berber hat uns die letzten Jahre den Marsch geblasen, dass der nächste Raubzug mal langsam fällig wird. Zuviel Sundowner auf der Abendveranda, zu viele Geschichten von der guten alten Zeit, zu viel Realitätsstau, besonders natürlich bei ihm. Berber hat das richtige Studio mit Jürgen Block recherchiert und die Crowdfunding-Idee dazu, es zu finanzieren und er hat uns Druck gemacht, dass wir die vielen Ideen der letzten Jahre jetzt konsequent zu Ende denken.

Das beeindruckt mich. Er hat das manchmal aus dem Krankenbett gemacht, aus der Reha, von den Molukken im Entspannungsurlaub und wir hatten das auch nötig, da wir auf vielen anderen Baustellen unterwegs sind. Ich selbst hatte seit dem letzten SANDOW-Album zehn Filmmusiken geschrieben und fünfzehn Hörspiele und Features produziert. Für letzteres war ich immer wieder mit Mangan25 zum Anus mundi gereist, weit entfernte Gegenden, die besondere Geschichten für mich verborgen hielten. Aus diesen Erfahrungen entstanden die Texte für das neue SANDOW-Album. Und doch ist das natürlich kein Reisebilderbogen sondern eine Auseinandersetzung mit der Welt, ihrem und unserem Zustand, ein Labyrinth des Denkens über den Wahnsinn, der uns umgibt. „Entfernte Welten“ sind eben nicht nur seltsame Habitate, in denen wir Entdeckungen unternehmen und Gefahren meistern, sondern sie finden auch genau hier in uns statt. Da muss ich gar nicht Gottfried Benn bemühen, um über Krebs an sich nachzudenken, als Spiegel unser Fragilität, als Fiebermoment unser jederzeit erlöschenden Einzigartigkeit. Mein alter Freund Berber wird darüber mehr wissen. Ich ahne nur, ich schreibe, ich sauge auf und schreibe um, weil alles für mich wichtig ist. Makrokosmos, Mikrokosmos, Minuskosmos. Schreiben heißt umschreiben. Wie Thomas Wendrich sagt. Wir diskutieren das im verqualmten Pensionszimmer in Fredersdorf, nahe Lütte, wo unser Studio auf unsere täglichen Entscheidungen wartet. Jürgen, der Geduldige…Und am nächsten Tag peitscht Berber den Beat zu „Eis“ wie ein gnadenlos junger Gott ins Auditive. Er fliegt, ist genau in seinem Tempo, ist da, ist jetzt in dieser Musik. Er ist jetzt diese Musik.

Es war wohl 1987, als ein junger Baustudent in Cottbus ins Stadtkabinett für Kulturarbeit ging, um zu fragen, ob denn wohl in der Stadt ein Schlagzeuger gesucht wird. Die Abende im Bauwohnheim waren ihm all zu lang geworden und die Zeit atmete Beton. Keine zehn Minuten später spazierte ein sehr schmaler, aschfahler und noch jüngerer Herr ins Kabinett, um den Mitarbeiter in Kenntnis zu setzen, dass SANDOW einen Schlagzeuger sucht. Berber saß grinsend auf einem Stuhl und wir sahen uns das erste mal. Drei Tage später machte er seine Aufwartung in der Villa Sandow, unserem Domezil im Puschkinpark und war schockiert über die Müllberge, die zwischen unserem Equip sich auftürmten. Zu Hause hat man`s schön und Berber blieb bei uns. Bei der Banda Sandow.  kuk