Der Lehm wärmt nur wenig. Die Junisonne spendet noch keine sommerlichen Temperaturen und wir beziehen Stellung im Luch nahe Mochow. Fotosession mit dem slovakischen Fotografen Marek Kucera. Auf einer Wanderung, Wochen zuvor hatten Momo und ich den verwunschenen und abgelegenen Ort entdeckt. Ein renaturierter Sumpf, ein geflutetes Birkenwäldchen, das sich gerade in einen Urwald zurückverwandelt. Unweit davon gelegen ein kleiner Waldsee. Der perfekte Ort für unseren „Entfernte Welten“-Shoot. Zur Vorbereitung unserer Mangan-Papua-Expedition war ich viele Kilometer in meiner Umgebung gewandert und konnte überraschenderweise noch viel Wildnis entdecken. Das meiste, was wir Natur nennen, ist ja Plantage. Die deutsche Ordnung eines herkömmlichen Kiefernwaldes hat deshalb nur wenig Poesie. Hier aber lag sie betörend vor einem. Der von Chris angemischte Lehm verleiht uns ein bizarres Aussehen und wir brechen immer wieder in Lachen aus. Das ganze ist natürlich eine Reminiszenz an die legendären Lehmfotos von Peter Gruchot und wenn man eine lange Geschichte hinter sich hat, sind Selbstzitate oft ein probates Mittel der Autokontinuität. „Okay, seid ihr soweit?“ Mareks Hurvinek & Spejbl-Akzent soll den Sound des Tages angenehm prägen und wir gehen auf Position.

Die Nacktheit beginnt uns zunehmend zu verwandeln. Ein pathetisches Posing scheint sich von selbst zu verbieten. Wir sehen nicht nur aus wir Urmenschen, wir beginnen uns auch so zu bewegen, wie eine Jägerrotte. Darüber hatten wir gar nicht gesprochen, es entsteht wie von selbst. Wir fühlen uns wie eine verletzliche Horde, die auf der Nahrungssuche Obacht geben muß. Wilde Tiere, der menschenfressende Nachbarstamm, Geister im Luch – das wären unsere natürlichen Feinde. Und alles ist plötzlich sehr greibar! Das Habitat und die lehmige Nacktheit erinnern unsere Körper an ihre Herkunft. Es ist verblüffend, wie tief die archaische Erinnerung noch in einem steckt. Wir schleichen, pirschen, lauern und wittern. Wir sind eine geschlossene Gruppe, eine Einheit, eine Band. Niemand braucht uns zu sagen, was wir tun müssen, wir wissen es. Zulange schon sind wir zusammen und nicht gerade im Sternenhimmel, sondern kaum bezahlt, oft arg gelitten, Gefahren ausgewichen und selbst welche geschaffen. Die Band hat eine eigene Aura.

Die erste Staffel ist durch. Rena und Momo reichen uns unsere Decken zum Aufwärmen. Wie seltsam, wir haben alle gelbe Decken und weiße Laken mitgebracht. Was für ein Zufall. Wir schauen uns an und müssen erneut lachen. Jetzt schauen wir wie buddhistische Mönche aus. Marek lässt die Kamera rattern. Wir streunen durchs Unterholz zum kleinen Waldsee und haben by the way das nächste Motiv geschossen. Am See legen wir uns ins Wasser und der Lehm löst sich langsam von unseren Körpern. Auch dieses Motiv ein Reminder an ein anderes legendäres Peter Gruchot-Foto von 1998 zum Stachelhaut-Album. Nur ist hier alles rot, blutrot. Es wirkt, als schweben wir in einer blutigen Wolke. Die Heiden in Papua nannten vor hundert Jahren die ersten getauften Christen, die „Abgewaschenen“. Der Zusammenhang soll uns erst später gewahr werden. Marek klettert auf eine Leiter, damit er genau über uns zum Schuß kommt. Motiv drei ist im Kasten.

Dann geht es in die „Wüste“ von Mochlitz. Ein Hang wurde weggebaggert, um Bauland zu schaffen. Eine um 90 Grad hochgeklappte Miniaturlandschaft. Auch diesen Ort haben wir auf einer Wanderung entdeckt. Marek checkt die Perspektiven und wir albern etwas rum und führen, inzwischen in schwarzen Anzügen steckend, unser altes „Krank“-Tänzchen auf. Just for fun. Die beinahe 20 Jahre alte Choreo von Kai Grehn haben wir alle noch gut intus und Marek hält drauf. Ein weiteres Motiv entsteht. Als nächstes posen wir etwas herum und merken: das ist es nicht. Wir probieren es mit den Urmenschen-moves vom Vormittag. Schleichen, pirschen, auf der Hut sein und merken sofort, dass das ein Volltreffer ist.

Die Sonne ist längst untergegangen und wir haben den Grill angeschmissen und einiges mehr. Wir schauen die Fotos an. Jedes zweite ist ein Treffer. Eine unglaubliche Quote bei 500 Bildern. Wir meinen gar einen roten Pfaden zu erkennen. Eine Geschichte in der Geschichte, eine Mini-Evolution. Vom Urmensch, zum Mönch, zum zivilisierten Homo sapiens, in dem immer noch ein Raubtier steckt. Wir haben an einem Tag soviel geschafft, wofür andere aufwendig Setdesigner, Choreografen und Lichtcrews beschäftigen müßten. Wir waren zu siebent. Momo, Rena, Marek und wir vier Musiker. Uns wurde das nicht gerade her geschenkt, aber es ist wohl Erfahrung und Intuition, die uns auf die richtige Spur gebracht haben. Ein typischer Sandow-Tag geht gläserklirrend zu Ende. kuk